Änderungen des (EU-) Mehrwertsteuersystems aufgrund des Brexits

  • Jan 29, 2021 | Richard Asquith

Gemäß den Bedingungen des Brexit-Austrittsabkommens hatte Großbritannien eine Austritts-Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020. Bis dahin unterlag das Vereinigte Königreich noch dem EU-Recht und konnte dieses, mit wenigen Ausnahmen, wie ein Mitgliedstaat weiterhin anwenden. Am 1. Januar 2021 erfolgte der Brexit und Großbritannien ist aus dem EU-Mehrwertsteuersystem, der Zollunion und dem Binnenmarkt ausgetreten. Compliance-Erleichterungen fielen weg und Zollerklärungen, Warenvorschriften und Einfuhrumsatzsteuer wurden eingeführt.

Brexit: Mehrwertsteuer-Änderungen

Die wichtigsten Änderungen für britische und EU-Unternehmen nach dem Brexit:

  • Großbritannien muss die Vorschriften der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie nicht mehr in sein eigenes Mehrwertsteuergesetz übernehmen. Beispielsweise muss der Mindeststeuersatz von 15 Prozent nicht mehr eingehalten werden. Da der Mehrwertsteuersatz jedoch 20 Prozent beträgt und die Verbrauchssteuer fast ein Drittel der Steuereinnahmen ausmacht, ist eine Reduzierung höchst unwahrscheinlich.
  • Das Vereinigte Königreich wird künftig die vollständige Kontrolle über seine ermäßigten Mehrwertsteuersätze haben, die zuvor durch die Regeln der EU-Mehrwertsteuerrichtlinie eingeschränkt wurden. Dies könnte jedoch ab 2022 ein strittiger Punkt sein, da sich die EU-Staaten darauf geeinigt haben, dass sie die volle Befugnis zur Festlegung der Sätze haben werden.
  • Der Brexit bedeutet das Ende der steuerfreien innergemeinschaftlichen B2B-Lieferungen. Alle Bewegungen sind nun Importe beziehungsweise Exporte, die der britischen oder EU-Import-Mehrwertsteuer unterliegen. Unternehmen, die Waren zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bewegen, benötigen nun zwei EORI-Nummern – eine für die EU und eine für Großbritannien.
  • Als Ausgleich hat Großbritannien eine Regelung zur Einfuhrumsatzsteuer eingeführt, so dass Unternehmen, die Waren importieren, keine Umsatzsteuer in bar an den britischen Zoll entrichten müssen. Viele EU-Länder bieten jedoch nicht die gleiche Regelung für britische Unternehmen an, die ihre Waren importieren.
  • Es gibt keine Schwellenwerte mehr für den Fernabsatz für britische E-Commerce-Verkäufer von Waren an EU-Verbraucher. Waren unterliegen nun der Import-Mehrwertsteuer, und britische Verkäufer müssen eine sofortige Mehrwertsteuerregistrierung in Europa in Betracht ziehen. Ebenso müssen sich EU-E-Commerce-Verkäufer jetzt möglicherweise sofort für die britische Mehrwertsteuer registrieren lassen, wenn sie an britische Verbraucher unter dem Schwellenwert von 70.000 £ verkauft haben.
  • Britische Unternehmen mit einer ausländischen Umsatzsteuerregistrierung in der EU benötigen einen speziellen Umsatzsteuer-Finanzvertreter. Dies gilt in 19 der 27 EU-Staaten. Diese Beauftragten haften direkt für nicht gezahlte Umsatzsteuer und verlangen daher im Gegenzug Bareinlagen oder Bankgarantien.
  • Die Besteuerung auf Dienstleistungen für B2B-Transaktionen. Die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft wird weiterhin gelten. Künftig kann das Vereinigte Königreich von einigen der Nutzungs- und Verwendungsregeln abweichen. Es gibt Änderungen bei bestimmten grenzüberschreitenden B2C-Dienstleistungen an EU-Verbraucher (und umgekehrt).
  • Britische Unternehmen, die EU-Mehrwertsteuer auf Reise-, Hotel- oder andere Ausgaben erheben, können nicht mehr das von HMRC betriebene Online-Mehrwertsteuer-Rückforderungssystem verwenden, sondern müssen fortan das papierbasierte Rückforderungsverfahren nutzen. Dies erfordert individuelle Anträge an jedes Land, in dem ein Mehrwertsteueranspruch besteht.
  • Als Teil des WA befindet sich Nordirland (NI) nun in einer besonderen Mehrwertsteuer- und Zollbeziehung mit der EU. Während Nordirland im Mehrwertsteuerbereich des Vereinigten Königreichs verbleibt, folgt es den EU-Vorschriften, einschließlich des Nullsatzes für die Mehrwertsteuer auf innergemeinschaftliche Lieferungen über die irische Grenze. Die EU-Mehrwertsteuer auf Importe nach Irland über Nordirland wird von den britischen Behörden eingezogen.
  • Intrastat-Meldungen [1] sind nach dem Brexit noch bis 2021 für Eingänge / Importe nach Großbritannien aus der EU erforderlich, aber sie werden nicht für Auslieferungen / Exporte in die EU erforderlich sein.

Austritt aus der EU-Zollunion

Das Vereinigte Königreich trat Ende 2020 auch aus der EU-Zollunion aus. Diese wurde gegründet, um Zölle und Deklarationen auf Waren, die zwischen den Mitgliedsstaaten bewegt werden, abzuschaffen.

Infolgedessen sind für alle Waren, die zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bewegt werden, Zollerklärungen erforderlich, aber es werden keine Zölle erhoben. Das UK Border Operating Model erlaubt den Aufschub von Zollanmeldungen bis zum 1. Juli 2021. Händler müssen bis dahin sicherstellen, dass sie zwei EORI-Nummern haben. Britische Importeure und Exporteure in die EU werden einen Zollvermittler benötigen und müssen ihre EORI-Nummer verwenden. Der Grund dafür ist, dass sie nun innerhalb der EU-Zollunion nicht mehr ansässig sind. Avalara kann Hilfe zu diesem Thema anbieten oder behilflich sein, falls Warennummern benötigt werden.

Die Verantwortung für das Ausfüllen von Deklarationen, die Zahlung von Zöllen und Einfuhrumsatzsteuer ist in den internationalen Handels-„INCOTERMS“ festgelegt, die in den Vertragsbedingungen enthalten sind. In der Regel ist es der Verkäufer, der die Grenzformalitäten und Einfuhrsteuern erledigt. Bei den Formularen regelt der Lieferant die Zoll- und Mehrwertsteuer, bei letzterem der Kunde.

Das kostenlose Webinar „Brexit: the morning after“ vom 12. Januar 2021 mit den führenden Experten aus den Bereichen Handel, Zoll und Mehrwertsteuer kann hier angesehen werden, um zu verstehen, was das neue Handelsabkommen bedeutet. Das nordirische Brexit-Mehrwertsteuersystem wird eine besondere Doppelstellung einnehmen. Das vollständige Brexit-Mehrwertsteuer- und Zoll-Checkliste kann hier eingesehen werden.

Richard Asquith steht für eine weitere Beratung hinsichtlich internationaler Steuersysteme und Brexit zur Verfügung.

[1] Das Statistische Bundesamt erfasst mit Intrastat-Meldungen statistisch den tatsächlichen Warenverkehr von Gemeinschaftsware zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (Versendungen und Eingänge).


VP Global Indirect Tax
Richard Asquith
VP Global Indirect Tax Richard Asquith
Richard Asquith ist VP Global Indirect Tax bei Avalara und unterstützt Unternehmen dabei, ihre Compliance-Pflichten zu verstehen, während sie global wachsen. Sie können Richard unter richard.asquith@avalara.com kontaktieren. Er ist Teil unseres europäischen Führungsteams, das 2019 von der Publikation International Tax Review als Tax Technology Firm of the Year 2019 ausgezeichnet wurde. Richard absolvierte die Ausbildung als Wirtschaftsprüfer bei KPMG in Großbritannien und arbeitete anschließend in Ungarn, Russland und Frankreich für EY.